Sie vollführen allerhand sportliche Übungen, Auf-und-Ab-Bewegungen und Umarmungen, konkurrieren, penetrieren und provozieren anscheinend auch, die Penisse der Comic-Figuren, die der Frankfurter Künstler Wolfgang Klee auf der Plakatwand des Bürgerhauses in der Mannheimer Neckarstadt-West ausgestellt hat. Man muss sie nicht schön finden, aber nach Jahrzehnten voll nackter Weiblichkeit in Printmedien, Kino, Fernsehen und Internet könnten einem die ironisch-satirisch überzeichneten männlichen Prachtstücke fast ein wenig erholsam erscheinen.
Nicht jedem allerdings: Gerade mal 48 Stunden hing das Bild an der Plakatwand, da übermalten es offensichtlich „besorgte“ Bürger und/oder Bürgerinnen mit weißer Farbe. Ein Schaukasten mit kleinformatigen Darstellungen wurde wenig später mit Papier überklebt. Gewolllte Aussage oder schierer Zufall: Auf dem Papier standen städtische Hinweise zur Coronakrise.
Beschwerden soll es gegeben haben und Anrufe bei der Polizei. Die Mannheimer Polizei allerdings stellt klar, dass sie keine Anordnung zum Überkleben oder Übermalen des Werks erlassen hat. Polizeisprecher Michael Klump laut Mannheimer Morgen: „Kunst zu bewerten, ist nicht unsere Aufgabe.“ (MM, 18.7.20)
Die „Plakatwand beim Bürgerhaus Neckarstadt-West“ soll im öffentlichen Raum unterschiedliche künstlerische Positionen und Arbeitsweisen vorstellen. Trägerin des Projekts ist die Lokale Stadtentwicklung (LOS) der städtischen Entwicklungsgesellschaft MWSP. Sie allerdings soll verlangt haben, dass das Kunstwerk entfernt oder in Teilen überklebt wird.
„Es gab Kritik?“, fragt Redakteurin Stefanie Ball im MM. „Dann muss die Kunst wohl in einem Aspekt gelungen sein: Sie provoziert.“ Kunst, die keiner wahrnehme, so Frau Ball weiter, verfehle ihr Ziel, auf Umstände und Missstände aufmerksam zu machen, auf die sie (vielleicht) hinweisen wolle. „Nur provozierende Kunst kann etwas bewirken.“ (MM, 17.7.20)
Wir können Frau Ball und Herrn Klump nur zustimmen.
Den „besorgten“ Bürgern sollten „wachsame“ gegenüberstehen. Kreative, demokratische Menschen können dazu nicht schweigen, denn Besorgnis und Intoleranz haust an den Polen unserer Meinungen und macht das Land dazwischen unbewohnbar für Gemeinschaft.
Ich finde es mittlerweile unerträglich, wie sogenannte ‚besorgte‘ Bürger, demokratische Widerständler und andere selbsternannten Verfassungswächter immer und überall eine scheinbar bedrohte Freiheit oder andere Grundrechte in den Mittelpunkt ihrer Argumentation stellen.
Sie scheuen selbst vor einem Angriff auf ein Kunstwerk nicht davor zurück, Grundrechte wissentlich zu missachten, um ihre Ideologie zu verbreiten, sei es offen oder versteckt.
Die Freiheit der Kunst ist ein in Art. 5 unseres Grundgesetzes verbrieftes Grundrecht. Nicht eben ohne Grund taucht diese Kunstfreiheit in unserer Verfassung auf. Es soll uns erinnern an die dunkle Zeit deutscher Vergangenheit, als man Bücher verbrannte und Kunstwerke, die nicht der Ideologie der Herrenrasse entsprach, als ‚entartete‘ Kunst bezeichnete.
Rolf Höge
Eine “Zensur findet nicht statt. Jeder hat das Recht seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern.” GG Art. 5.1
Und nun: Ein Bild wurde übermalt, beklebt, unkennlichgemacht.
Kunst muß provozieren, wachrütteln, zum Nachdenken anregen,
Gerade in der Neckarstadt, mit vielfältiger erlaubter oder auch illegaler Prostitution.
Danke dem Künstler, für seine provokative Arbeit, Schande über diejenigen, die täglich die barbusigen Frauen in der Zeitung mit den vier großen Buchstaben lesen, diese aber niemals übermalen würden.
Ermittelt hier die Polizei wegen der Zerstörung eines Kunstwerks?
Wir werden sehen.
Natürlich ist das keine Art mit Kunst umzugehen. Wenn sie einem nicht gefällt, kann man das zum Ausdruck bringen, dabei muss man jedoch argumentieren. Da ist es in gewisser Weise einfacher alles zu überstreichen. Man kann sie schlimmstenfalls auch ignorieren, auch damit gibt man ein Statement ab.
Oft wird ja die Freiheit der Kunst beschworen, also sollte man jede Ausdrucksform tolerieren. Oder gibt es Grenzen? Ich bin der Meinung, hier sind sie sicher lange noch nicht erreicht. Man erinnere sich an Charlie Hebdo, hier waren Islamisten der Meinung: Wer Religion verunglimpft, muss ausradiert werden. Hier gab es prüde Bürger, die zwar nicht die Künstler, aber die Kunst ausradieren wollten.
Kleine Anmerkung am Rande: Durch diese Aktion hat der Künstler mehr Aufmerksamkeit bekommen als durch das Kunstwerk selbst.