Zum 70. Geburtstag des literarischen Weltbetrachters Ralph Grüneberger erscheint sein neues Werk, ein zutiefst poetischer Blick auf die bildende Kunst: „Enthält Kunstplatzierung“ – Gedichte und Miniaturen zu Leben und Werk bekannter Künstler. Grünebergers Textur, sein Sprachkunstgewebe kommt „ohne Nabelschau aus und verirrt sich nicht in kunsthistorischen Belehrungen“ – wie der Verfasser des Nachworts Wolfgang Mayer König treffend beschreibt.
Gekonnt wird in seinen Texten verdichtet, ausgespart mit unerwarteten Reflexionen Sprachbild und Bildkunst überblendet, bis der Leser vom stillen Betrachter des Sujets zum Beobachter von Kunstwerk und Künstler gleichermaßen wird, sein eigenes Bild imaginiert. Ralph Grünebergers Musik und Takt seiner Worte bilden eine feine Untermalung, damit sich Zeichnung, Gemälde, das Bildhafte in einer gemeinsamen Melodie darüberheben lassen: eine Momentaufnahme von poetischer Wortkunst und visuellem Gestalten mit musikalischer Begleitung.
„Rock Around the Clock – not possible“ (nach dem Holzstich “Cry Baby” von Tobias Gellscheid): Ein Gedicht mit Kontrabass und kurzen Taktschlägen, dem Rock’n Roll gemäß, in dem sich Highschool-Mädchen und Telefonistinnen im Moment der Ekstase im Kino oder Konzert vereinen, losgelassen, heiter bis zu dem Augenblick „Sie wieder am Rocksaum ziehen / Die Fönfrisuren ordnen / Sie wieder uneins sind.“
Es sind diese kaum merklichen Brüche, die das Besondere in Grünebergers Gedichten zum Ausdruck bringen, der unerwartete Gedankensprung, der „nie mutwillig abrundet. Die Reflexion löst er dort aus, wo sie im Leser weiterarbeitet, nicht nur weiterwirkt“ – so Mayer König. Die Texte Grünebergers zur Bildkunst offenbaren eine diskrete Aufforderung, dem eigenen Blickwinkel Raum zu verschaffen, die Nähe des Vordergründigen zu verlassen, sich einzulassen auf die nötige Distanz, den Hintergrund zu erfassen.
Bereits in seinen ersten Veröffentlichungen („Frühstück im Stehen“ / „Leipziger Liederbuch“ von 1985/1986) widmen sich Grünebergers Texte dem Widersprüchlichen in unterschiedlichen Lebens- und Alltagswelten. Viele seiner Gedichte erinnern an die Kultur der poetischen Gegenrede, sie bezeugen die subjektive Betroffenheit des Dichters in der ironischen Distanzierung.
So auch in seinem neuen Gedichtband, wo er uns mit dem Text zu der Wiener Künstlerin Friedl Dicker Brandeis, eine jüdische Malerin, die 1944 in Ausschwitz umgebracht wurde, das unheilvollste Kapitel deutscher Geschichte ins Gedächtnis ruft:
„Sie lehrt die Kinder sehen / Im Ghetto Theresienstadt / … / Das Schwarze unter Fingern / Fürs Malen wie gemacht“.
Ebenso innovativ, sich den Eigenheiten und Stilentwicklungen des Künstlers Vasarely sprachlich nähernd, ist der Duktus der Terzinen in „Quadratismus des Kreises“:
„Bildschirmschoner / Kopieren ihn /Den Augenbelohner“ – welch ein großartiger Neologismus für den bedichteten Künstler. Chapeau!
Es macht staunen, mit welcher Leichtigkeit Grüneberger das Enjambement, den Zeilensprung finessenreich zu wenden weiß, mit welcher Gelassenheit er die Welt und ihre Details betrachtet: es macht für ihn keinen Unterschied, ob er einen Akt von Picasso, einen Schmetterling von Dali oder den Schatten täglicher Sonne van Goghs beschreibt:
„Die Gitter vorm Fenster / Sind Rippen des Schnitters / Am Tage. Umnacht.“ –
Seine wortstarken Sprachbilder, sind hier besonders einprägsam, sie bekunden ein geschultes Sehen, die eigene Sicht des Poeten auf die scheinbar unwichtigen Dinge und deren doch tieferen Zusammenhänge.
Grünebergers neues Buch „Enthält Kunstplatzierung“ empfiehlt sich per se zum 70. Geburtstag des Leipziger Literaten zur Tabula gratulatoria.
„Enthält Kunstplatzierung“ – Gedichte & Miniaturen zur bildenden Kunst,
„Enthält Kunstplatzierung“ – Gedichte & Miniaturen zur bildenden Kunst
Harfe Druck und Verlag, Rudolstadt, 2021
Normalausgabe 16,02 €
Wir empfehlen auch Grünebergers Filmessay “Eine Brücke wie keine andere“: